Wirkfelder der Erlebnispädagogik

Klar, Erlebnispädagogik wirkt, keine Frage. Wenn wir aber eine linear- kausale Wirkkette bestreiten schulden wir der Welt natürlich wenigstens ansatzweise eine Antwort, wie oder warum Erlebnispädagogik wirkt. (Wir nennen das auch gerne „perturbiert“).
Im Folgenden haben wir uns bemüht, Wirkfelder zu benennen denen wir in jedem Fall aus der Erfahrung eine perturbierende Kraft nachsagen würden. Und mit Sicherheit ist diese Liste niemals vollständig!
Wirkfelder der Erlebnispädagogik

Körperkontakt

Wir berühren uns gegenseitig, vielleicht erstmal unbewusst oder nicht- intentional bei den angebotenen Spielen sowie Teamaktionen. Dann aber auch bewusst während Methoden wie Tanz, Massage etc.! Später nehmen nehmen „Fahrt“ auf weil wir uns vertrauter sind und sich der Körperkontakt gut anfühlt. Vielleicht umarmen wir uns bei Begrüßung und Abschied. Möglicherweise auch immer mal wieder zwischenrein weil das Gefühl der Vertrautheit so groß geworden ist.  Und wir trauen uns diesem (zutiefst menschlichen) Bedürfnis mehr Raum zu geben.

Selbsterfahrung

In erlebnispädagogischen Settings erfahren wir uns selbst (neu). Wir sind neuen Situationen ausgesetzt, dürfen uns in der neuen Gruppe neu positionieren,. Möglicherweise kommen wir an individuelle Grenzen und Themen und dürfen diese thematisieren und feststellen dass es anderen Menschen ähnlich geht.  Es besteht Zeit und Raum alleine zu sein und dürfen auf den haltenden Rahmen der Leitung und der Gruppe vertrauen.  Wir bekommen Gelegenheit unsere Verhaltensmuster überdenken oder im Rahmen von initiatorischen Ritualen in intensiven Kontakt mit uns und unseren eigenen Prozessen kommen. Diesen Aspekt der Erlebnispädagogik der bei uns großen Raum einnimmt haben wir „Intrapersonale Erlebnispädagogik“ genannt.

Selbsterfahrung in der EP
Wirkfeld Grenzerfahrung

Grenzerfahrung

Klar, die Klassiker…! In der Erlebnispädagogik wird es auch manchmal unbequem weil wir uns ganz bewusst den eigenen bewussten und unbewussten Grenzen stellen wollen. Natürlich auch weil wir ja schon verstanden haben dass hinter diesen Türen die Schätze der Welt liegen (Siehe Komfortzonenmodell)
Zu nennen wären da vor Allem:

  • Angst (vor Höhe, Tiefe, Dunkelheit, dem Ausgesetzt sein, vor dem „sich entblößen“
  • Körperliche Grenzen (Erschöpfung, Müdigkeit, Erschöpfung, Hunger, Durst, Kälte, Hitze)
  • Stolz (als Thema wenn es darum geht Masken fallen zu lassen, Ängste einzugestehen, Grenzen zu akzeptieren oder Emotionen freien Lauf zu lassen)
  • Privatsphäre/ Proxemik: In EP- Settings haben wir oft nicht der privaten Raum und die gewohnten Rückzugsmöglichkeiten des bequemen Alltags

Positive Grundstimmung

Nachweislich lernen wir nur dann wenn es uns gut geht und wir uns sicher fühlen. Dieser Grundgedanke ist uns omnipräsent bei der Gestaltung unserer Settings. Hier liegt auch ein Geheimnis der N.E.W. Erlebnispädagogik welches Menschen im Rahmen des geeigneten Settings dazu befähigt über ihre Grenzen zu gehen. Die Zauberwört hier heißen „Freiwilligkeit“ und „intrinsische Motivation“.
Als begleitende Erlebnispädagog*innen sorgen wir für eine positive Grundstimmung Dazu gehört temporäre aber essentielle Bedürfniserfüllung, Momente des Glücks, Spaß, Freude, Bewegung, Gemeinschaft, aufgehoben sein und sich gesehen fühlen.

Positive Grundstimmung ist essentiell!

Körperlichkeit

Nicht selten erleben grade Jugendliche im Rahmen erlebnispädagogischer Settings ihren Körper (neu). Es werden neue Bewegungsformen z.B. beim Klettern erfahren. Durch den Muskelkater am nächsten Tag wird das Bewusstsein erweitert wo der Körper überall Muskeln hat. Beim Raufen und Boxen entdecken viele Kinder und Jugendliche Ihre Kraft sowie deren Grenzen. Es wird gemeinsam geschwitzt, bei der sportlichen Bewegung oder in der Schwitzhütte. Spiele und Teamaktionen erfordern Koordination und Geschicklichkeit. Bei künstlerischen Tätigkeiten wie Hennatattoos oder Schnitzworkshop wird die Feinmotorik auf die Probe gestellt.

Interaktion

Das dauerhaft-präsenteste der Wirkfelder der Erlebnispädagogik! Menschen interagieren beinahe rund um die Uhr miteinaner. Sei es im Team beim Teamtask oder beim gemeinsamen Kochen oder im Alltäglichen. . Die Kommunikation erfolgt verbal, mit der Zeit auch zunehmend nonverbal. Die Gruppe einigt sich bewusst und unbewusst auf gemeinsame Strategien. Der gemeinsame Erfolg wird gefeiert. Rollen werden gefestigt, die Gruppe koordiniert sich zunehmend selbst. Sympthie wie auch Antipathie entstehen, der Umgang damit erfordert Empathie. Es entstehen möglicherweise Untergruppen, Freundschaften und ein Gruppengefühl.

Wirkfeld Interaktion
Neuland betreten

Neuland

Mit jedem Einlassen auf ein neues Setting betreten wir Neuland in vielfältiger Form. Und damit ein weiteres Wirkfeld. Die neue Gruppe, eine bieher unbekannte Hütte, eine neue Landschaft, ein neues ungewohntes Setting, ein ungewohnter Schlafplatz. Möglicherweise probieren wir unbekanntes Essen, lernen fremde Rituale, neue Wege und Alternativen des Denkens und Handelns kennen. Wir erlangen dadurch neue Einblicke in uns selbst. All dies rüttelt an unseren bisherigen Strukturen (Perturbation) und erweitert unseren Horizont, unsere Komfortzone. Es dient aber auch der Klärung der eigenen individuellen Grenzen was essentielle Bedürfnisse angeht (Schlaf, Essen, Belastbarkeit)

Setting

Die Basis der Wirkfelder! Das Setting bei N.E.W. ist angelegt auf eine Reduktion des alltägliche „Grundrauschens“ (Lärm, Komfort, Reizüberflutung). Es zielt auf Einfachheit und damit die Möglichkeit der Focussierung auf sich selbst, die Gruppe und die natürliche und unmittelbare Umwelt. Grade für viele Kinder und Jugendliche ist diese Reduktion oft absolutes Neuland und wird mitunter anfänglich sogar als bedrohlich empfunden.  So viel gewohnte Ablenkung fehlt (kein Handyempfang, kein WLAN, kein Fernseher, kein PC). Das Essen ist ungewohnt und die Gruppe ist in einem Mikrokosmos auf sich selbst angewiesen…
Wir spielen wieder „echt“ und nicht am Bildschirm, das abendliche Programm ist nicht das flimmern der Glotze sondern das Flackern des Lagerfeuers. Zudem fehlt die Möglichkeit des individuellen Rückzugs. DIes erfordert wiederum Rücksichtnahme der anderen Teilnehmenden weil es keine Einzelzimmer in der hellhörigen Hütte gibt…

Setting als Wirkfeld der EP
Natur wirkt!

Natur

Klassischerweise und insbesondere bei den Settings von N.E.W. spielt die Natur eine große Rolle. Denn auch wenn der Mensch heute vielmals als von der Natur isoliertes Wesen begriffen wird sind wir doch Teil der Natur und damit Natur selbst. Die Rückbesinnung auf uns in einem uns natürlichen und urvertrauten Umfeld, das den Kräften der Natur Ausgesetzt- Sein, das Atmen frischer Luft und die Wahrnehmung der Geräusche der Natur fernab von Straßen und Fluglärm, all dies lässt kaum einen Menschen unbeeindruckt. Natur beruhigt, wühlt auf, wir begreifen uns in größeren Zusammenhängen Wir wertschätzen dadurch plötzlich scheinbare Kleinigkeiten und machen wieder einen Schritt zurück zu „uns“. Und spätestens im Kreis ums Lagerfeuer mit dem Blick auf die Sterne wird plötzlich klar dass das Smartphone doch nicht alles ersetzen kann.

Rituale

Vielleicht eines der verkanntesten Wirkfelder der Erlebnispädagogik. Besonders die initiatorische Ritualarbeit hat es uns angetan… Die Welt ist voller bunter, kraftvoller kleiner und großer Rituale die Menschen begleiten und ihnen SIcherheit und Struktur vermitten. In einer beinahe rituallosen Gesellschaft (nein, der Kaffee morgens zähl tnicht) entdecken wir die Kraft und die Wunder der Rituale neu. Und widmen daher diesen in unserer Ausbildung Erlebnispädagogik gar einen ganzen Block!

Rituale in der Erlebnispädagogik
Auf Reise

Reise

Wir machen uns gemeinsam auf zu neuen Orten, Plätzen, erforschen und erweitern den uns bekannten Raum, erschließen Neuland Wir begeben uns in ein Abenteuer oder gar auf Expedition, nehmen Herausforderungen an. Wir wandern zu Fuß über die Alpen oder fahren gemeinsam mit dem Bus in die Vogesen, trampen zur Ausbildung nach Frankreich oder machen eine Abschlussfahrt mit der Klasse nach Slowenien.  Und wir machen uns damit immer auch auf die Reise zu uns selbst…

Gruppenkohäsion

Der Mensch als Gemeinwesen erfährt ein neues Zugehörigkeitsgefühl. Hierdurch entstehen und wachsen Vertrauen und Vertrautheit. Durch gemeinsame Erlebnise wird die Gruppenidentität gefördert und gefordert. Das gemeinsame Scheitern, vielmehr aber gemeinsamer Erfolg lassen die Gruppe wachsen. Die Menschen lernen sich „echt“ kennen, müssen sich nicht verstellen und kommen sich auch persönlich näher.

Gruppenkohäsion
Zum Autor

Leif ist nunmehr offiziell über die Hälfte seines Lebens in der Erlebnispädagogik unterwegs. In der zweiten Hälfte der ersten Hälfte (Studium) durfte er mitunter leidvoll erfahren, dass es mehr Bücher als Zeit gibt. Daher und um dieses Verhältnis für die Nachwelt wieder zu ändern schreibt er hochambitioniert Zusammenfassungen von Zusammenfassungen. Und hofft dass deren Essenz dennoch erhalten bleibt…

Leif Cornelissen, Diplom- und Erlebnispädagoge